Unverhoffte Umwege
Meine Nachforschungen fielen zum Glück negativ aus. Ich konnte mit fast einhundert-prozentiger Sicherheit ausschließen, dass ich von Neuenfurth oder aus der näheren Umgebung stammte. Aber es ergab sich eine neue Spur, die mich weiter nach Westen führen würde. Warum nicht? Nach der Rettung von Neuenfurth hatten wir kein direktes Ziel mehr und konnten uns wieder unseren ursprünglichen Zielen zuwenden. In der Gruppe herrschte diesbezüglich eine gewisse Unsicherheit. Aber die Erwähnung einer größeren Stadt in westlicher Richtung schaffte die nötige Einigkeit. Hier hielt uns nichts, also brachen wir unverzüglich am nächsten Morgen auf. Die Bewohner von Neuenfurth ahnten nicht einmal, was wir für sie getan hatten.
Der Weg nach Westen führte uns wieder in die Berge. Bereits mittags spürten wir eine merkliche Abkühlung. Wir ritten dem Winter wieder entgegen. Egal. Westen war mein Ziel und ein wenig Zivilisation, sollte es diese Stadt wirklich geben, konnten wir alle vertragen. Wir hatten im Verlauf der letzten Abenteuer einiges an Wertsachen angesammelt. Dinge, für die wir selbst keine Verwendung hatten. Diese würden wir natürlich gerne gegen nützliche Dinge eintauschen. Einige von uns würden auch die anderen Annehmlichkeiten einer zivilisierten Umgebung zu schätzen wissen. Bis zum Abend hatten wir die Schneegrenze längst wieder überschritten. Vitali kam von einem kurzen Jagdausflug mit einem prächtigem Wildbret zurück und ich zauberte, im übertragenen Sinne bitteschön, daraus ein zauberhaftes Abendessen. Das tröstete uns etwas über die winterlichen Wetterbedingungen hinweg. Die Wache übernahmen wieder die Gefährten ohne magische Talente, der Vorteil einer großen Gruppe. Niemand konnte ahnen was diese Nacht an Überraschungen für uns bereithielt.
Die überraschten Ausrufe der Gefährten am nächsten Morgen weckten mich. Schleunigst verliess ich mein Zelt. Es musste über Nacht getaut haben, alles war grün. Aber, nicht nur das. Irgendetwas stimmte nicht. Was war das nur? Die Bäume? Die Hügel? Wo waren eigentlich die Berge? Unser Lagerplatz hatte sich völlig verändert! Das musste eine Illusion sein. Aber so sehr ich mich auch konzentrierte, ich konnte die Illusion nicht durchdringen. Das sprach definitiv gegen eine Illusion. Spuren von Magie konnte ich auch nicht entdecken. Was war passiert. Jeder versuchte dann mit seinen eigenen Methoden, das Rätsel zu lösen. Rabe, der die zweite Wache gehabt hatte, erzählte von einem Licht. Ein Irrlicht vielleicht. Sonst hatte keine Wache etwas bemerkt. Laut Vitali, der die Flora genauer in Augenschein genommen hatte, befanden wir uns viel weiter südlich als vorher. Aber immer noch in der gleichen Jahreszeit. Das sprach für eine magische Ortsversetzung. Eine Art ungewollter Teleportation. Aber warum. Zwerg fluchte die ganze Zeit, weil er seinen Schlafstein nicht mehr finden konnte, bis er plötzlich innehielt und einen starren nach Innen gekehrten Ausdruck bekam. Er hatte entweder einen Schlaganfall oder eine Vision. Aber die Ruhe hielt nicht lange an. Nur wenige Sekunden später fluchte er aufs neue. Heftiger noch und unverständliches Zeug. Nachdem wir ihn endlich beruhigt hatten, erfuhren wir sinngemäß folgendes: Zwergs Gott hatte die unendliche Gnade, sich herabzulassen und ihm mitzuteilen, dass unser Hiersein kein Zufall sondern göttliches Bestreben sei. Ups! Wir seien auserwählt worden. Scheinbar einer der Nachteile eine erfolgreiche Premium Abenteurergruppe zu sein. Was sollen wir tun? Schon wieder die Welt retten oder nur 148.713 Mails checken? Wir seien auserwählt worden Dame Elydrend beizustehen. Wem? Dazu sollen wir uns nach Sharn begeben, zum Geborstenen Amboss.“ Na, wenn’s weiter nichts ist. Wo zur Hölle ist Sharn?
Sharn, so erklärte uns Zwerg, sei eine größere Stadt hier in der Nähe und der Amboss eine Taverne, was bereits Grund genug sei, sofort dorthin aufzubrechen.
Nach dieser Offenbarung bemerkten wir auch die dünnen Rauchsäulen am Himmel. Das war also die Richtung, in der die Zivilisation zu finden sein würde. Die Diskussion wie wir weiter vorgehen hielt sich in Grenzen. Zwergs Versicherung, Sharn sei eine größere Stadt, stellte fast alle zufrieden. Schließlich war das unser nächstes Ziel gewesen. Zivilisation.
Trotzdem, mit diesem Gott würde ich mich mal eingehend unterhalten müssen. Später, natürlich. Vorher hatte ich noch so viel zu lernen.
Gegen Mittag erreichten wir die Stadtmauer. Die Hügel hatten sich in eine Ebene gewandelt, es gab mehr Bäume und am Horizont war ein riesiger Wald zu erkennen.
Die Stadt, vermutlich Sharn, war von einer hohen steinernen Mauer umgeben. Nur einige wenige Gebäude in der Stadt konnte man über die Mauer hinweg erkennen. Die Wachen am Tor nickten uns nur freundlich zu. Das hatten wir auch schon anders erlebt. Die Passanten, wenn auch überwiegend Menschen, setzten sich aus allen uns bekannten Rassen zusammen. Sharn schien eine weltoffene Stadt zu sein.
Unser Plan war, vor dem Aufsuchen des Geborstenen Ambosses den Markt und einige örtliche Händler zu besuchen. Obwohl wir keine allzugroße Mühe auf’s Handeln verschwendeten, wir hatten schließlich noch einen göttlich vergebenen Termin, konnten wir über 2.000 GS pro Person erzielen. Einige von uns investierten das sofort wieder, teilweise auch im Tauch mit Dingen, die sie schon besaßen aber als weniger nützlich einstuften. Ich ließ meine Stäbe wieder aufladen. Die hatte ich ja praktisch ständig im Einsatz.
Nachdem wir unsere Geschäfte erledigt hatten, erkundigten wir uns nach dem Amboss und machten uns auf den Weg dorthin. Der Geborstene Amboss war eine Taverne, die in einem der Türme der Stadtmauer (Burgmauer?) untergebracht war. Es gab dort auch Zimmer und einen Stall. Ideal für Reisende wie uns. Als wir die Taverne betraten, fanden wir nur einen einzigen Gast vor. Eine Menschin, die zusammenzuckte und eine Handbewegung machte, die so denn ordentlich ausgeführt, zu einem Feuerball hätte werden können. Aber bevor sie die nötigen Worte sprach schien sie etwas in uns zu erkennen und brach den Zauber ab. Besser ist das. Zwerg murmelte nur „Elydrend“.
„Schnell, schnell! Oskar sei Dank“, Elydrend machte einen äußerst gehetzten Eindruck. Sie stellte uns einen Rucksack auf den Tisch. Darin enthalten seien Anweisungen, Vorräte und Gold. Wir sollten uns besser beeilen. Ihre Verzweiflung und Angst scheinen echt zu sein. Wir hatten die Situation noch immer nicht vollständig begriffen, da flog schon wieder die Tür auf. Vitali, der sich direkt hinter der Tür postiert hatte, flog durch den Schankraum. Ups! Dazu gehört schon was. Neun fiese Kobolde mit kurzen Speeren stürmen den Raum. Am Eingang steht ein Krieger in Vollrüstung mit einem Schwert in jeder Hand. Na warte! Aber irgendetwas stimmt da nicht. Mit staksigen Schritten, die Schwerter schwingend betritt er ebenfalls den Schankraum. Mist. Das ist kein Krieger. Das ist etwas magisches, ein Golem oder ein Konstrukt. Dann wird das mit den Illusionen wieder nichts. Ich sollte meine Spezialisierung überdenken. Ein Feuerball würde vielleicht etwas ausrichten, aber die halbe Taverne in Schutt und Asche legen, mal ganz davon abgesehen, dass wir auch selbst mitten drin stehen würden. Ich mag ja warm, aber alles hat seine Grenzen.Wenn das Ding aber wirklich ein Konstrukt oder ähnliches ohne eigenen Willen war, dann hatte ich doch eine Chance. Flux kam mir der Zauber über die Lippen und siehe da, nach anfänglichem Zögern begann das Ding zu schweben. Heureka! Zum Glück war das Ding schon weit genug von von den Wänden weg und die Decke hoch genug. Es würde nirgends Halt finden. Das Beste wäre natürlich, es hier rauszubugsieren und zum Mond zu schießen. Der Zauber dürfte einige Zeit anhalten. Aber so wie sich das Dinge gebärdete war das aussichtslos. Egal, jetzt waren die Kobolde dran. Zwerg hatte einen Archon beschworen. Dieser und die Kameraden hatten aber Schwierigkeiten mit den kleinen äußerst agilen Kämpfern. Als ich ihnen meine volle Aufmerksamkeit widmete waren noch sieben von neun in den Kampf verwickelt. Aber das schwebende Konstrukt irritierte sie offenbar, sie sahen ihre Chancen jetzt realistisch und als Folge davon stürzten sich alle gleichzeitig in ihre Speere. Raue Sitten sind das hier. Misserfolge werden offenbar nicht gern gesehen. Die Kobolde erinnerten mich an irgendwas. Nur was? Elydrend zeigte auf das schwebende Ding und flüsterte uns zu: „Das ist einer der Klingenfürsten.“ Was auch immer sie damit sagen wollte. Dann plötzlich sprach es einer aus: „Die Kobolde sehen aus wie Stadtwachen.“ Tatsächlich, das war es. Sie trugen die gleiche Kleidung wie die Wachen auf Straßen. Ups!
Elydrend gab uns noch eine kurze Zusammenfassung der Instruktionen im Rucksack. Kurz, es ging um die Bergung eines wichtigen magischen Artefaktes, mit dem finstere Gruppen die Welt beherrschen wollten. Wir sollten es finden und an Elydrend übergeben. So der Wille der Götter. Einiger zumindest. Unsere Reise würde zu Schiff beginnen, die Überfahrt war bereits gebucht und bezahlt. Soviel zu Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortung. Die Sache gefiel mir immer weniger.
Wie alles begann: Der Aufbruch
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