Begegnung mit einem Monster
Indeed, als ich morgens in dieser heruntergekommenen Absteige nahe dem Ende der Welt mein letztes Päckchen „Lindsay’s Favourite – Most Excellent Indian Tea“ anbrach kamen mir das erste Mal Zweifel. Natürlich sind Zweifel eines englischen Lords nicht angemessen. Andererseits bin ich nur der dritte Sohn des Earls of Scarborough, hinausgezogen in die unbekannte Welt um der Langeweile des Alltags zu entfliehen. Wie ich hier in diese Absteige gekommen bin kann ich gar nicht mehr genau sagen. Ich bin die Nacht durchgeritten, irgendeine unbestimmte Ahnung hat mich angetrieben. Ungewöhnlich das, indeed.
Jetzt sitze ich hier bei eine Kanne Tee und einem Teller Bohnen mit Speck. Frühstück nennt man das hier. Es hätte schlimmer kommen können. Aber bevor ich auch nur anfangen konnte mich zu bedauern wurde ich schon aus meiner Kontemplation gerissen. Zwei weitere Gäste kamen aus ihren Zimmern in den Schankraum. Ein Abenteurertyp, wie es sie zuhauf gibt hier in dieser unzivilisierten Gegend und doch, mit Verlaub, obwohl ich selbst auch das Abenteuer suche, natürlich in keinster Weise mit einem englischen Lord vergleichbar. Sowie eine … Dame zweifelhaften Charakters, ist es doch einigermaßen unziemlich für eine Dame sich dermaßen zu präsentieren. Die beiden sind überrascht mich zu sehen und starren mich an. Das wiederrum überrascht mich nicht, überhaupt nicht. Es mag an meiner aristokratischen Ausstrahlung liegen oder auch nur an meinem grau karierten Anzug. Beides hat man hier noch nie gesehen, wie mir scheint. Ich nicke ihnen freundlich zu und widme mich wieder meinen Bohnen. Die beiden tuscheln eine Weile und kommen dann an meinen Tisch.
Chantal und ihr Begleiter versuchen mich ein wenig auszufragen. Ich bleibe wortkarg aber freundlich. Nachdem offensichtlich ist, dass ich über nicht ganz unbedeutende finanzielle Mittel verfügen kann, machen die beiden mir ein geschäftliches Angebot. Sie planen offenbar einen Saloon zu eröffnen und benötigen noch einen Finanzier. Ich zeige mich nicht abgeneigt um das Gespräch am Laufen zu halten. Nach mehreren Tagen Einsamkeit und tiefschürfenden philosophischen Dialogen mit meinem Pferd tut ein wenig Gesellschaft ganz gut. Auch wenn es sich um zwei sehr skurrile Gestalten handelt, mit abstrusen Ideen. Damit ich ihnen nicht entkomme, bieten sie mir an, mich ihrer Gruppe anzuschließen. Offenbar gab es die Nacht zuvor eine Begegnung mit einem „Monster“ und die Gruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht eben dieses zur Strecke zu bringen. Noch zur Gruppe gehören ein etwas blasser eingeborener Wilder und eine echte rothäutige Squaw. Ein fünftes Gruppenmitglied war nicht anwesend, man hoffte aber, dass er bald wieder zur Gruppe stoßen würde. Das alles klang sehr suspekt, aber definitiv nach einem Abenteuer, indeed!
Vor der Absteige gab es tatsächlich Spuren von einem Kampf, eine Menge Blut inklusive. Selbst ich, im Spurenlesen nicht sehr bewandert, konnte mir ein Bild machen. Also gab es vielleicht tatsächlich ein „Monster“. Einen Grizzly vielleicht. Die hier einheimischen Bären sollen eine stattliche Größe erlangen können. Der Wilde machte sich auf die Spur zu verfolgen. Nach einer kurzen Kontrolle meiner nagelneuen Ausrüstung, bestehend aus Winchester, Büffelgewehr, zwei Revolvern, einem Bowie Messer und einem Regenschirm, grau kariert natürlich, folgte ich der Gruppe.
Die Verfolgung sollte sich über Stunden hinziehen. Schon kurze Zeit später musste ich mich auf die behaupteten Fähigkeiten des Wilden verlassen. Die Blutspuren wurden immer weniger. Eigentlich hätte irgendwo ein ausgebluteter Kadaver liegen sollen. Die Spuren gingen aber weiter. Merkwürdiger noch, die Spuren veränderten sich. Die anfangs eindeutig tierischen Abdrücke veränderten sich zu einem menschlichen Fußabdruck. Kaum möglich. Der Wilde hatte irgendwo die Spur verloren und wir folgten jetzt einem anderen Wilden, der hier barfuß unterwegs ist. Die Stimmung in der Gruppe war allerdings eher aufgeregt und man erzählte sich Geschichten von mystischen Wesen und Monstern. Warum nicht. Ich machte mir den Spaß und steuerte einige altertümliche Sagen und Legenden über Werwölfe bei. Das vertreibt zumindest die Zeit. Und Geschichten erzählen kann ich.
Am frühen Nachmittag hatte die Spur uns zu einem Spalt in einem Felsen geführt, worin sie offenbar verschwand. Aus dem Spalt drang uns ein scharfer Geruch entgegen, der vor allem die Pferde stark irritierte. Mein Geschäftsfreund von heute Morgen hatte sein Reittier nicht mehr unter Kontrolle und lies es durchgehen sowie sich abwerfen. Dilettant. Immerhin hat er sich nichts gebrochen. Ein Blick in die Runde zeigte mir, niemand war gewillt sich um das Pferd zu kümmern. Also dann, selbst ist der Lord, in einer beeindruckenden Show altenglischen reiterlichen Könnens habe ich das Pferd wieder eingefangen. Unterschätze niemals einen Lord.
Um es kurz zu machen, in der Höhle befand sich tatsächlich eine Art Werwolf, schwer zu glauben, jedenfalls ließ sich das Tier nur dauerhaft mit Silber und Feuer verletzen, andere Wunden verheilten praktisch sofort. Ich selbst habe es zweimal mit dem Büffelgewehr getroffen. Der Wilde, irgendwie zu hellhäutig für eine Rothaut, überzeugte mit einem Pfeilhagel aus Brandpfeilen, die von der Squaw entzündet wurden. Chantal spickte den Werwolf mit zwei Silberdolchen und selbst der Dilettant feuerte eine komplette Revolverladung auf das Biest ab. Insgesamt eine beeindruckende Show. Das Monster verwandelte sich einen distinguierten, älteren Herrn zurück. Der Wilde hackte der Leiche den Kopf ab.